Władysław Szpilman (1911- 2000)
Der „Pianist“ über seine Studienjahre 1931- 1932; Berlin – das war meine schönste Zeit.
Władysław Szpilman besuchte im April 2000 die deutsche Hauptstadt auf Einladung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin und sprach mit Prof. Jürgen Rasinski über seine Studienzeit an der Berliner Musikhochschule 1931-1932. Rasinski, der bis 2001 Violine und Violinmethodik an der selben, in Hochschule der Künste umbenannten, Institution lehrte, erinnert sich… „Plötzlich veränderte sich die gesamte Atmosphäre in Berlin. Man spürte voraus …“ Bereits 1932 wirft die Wirtschaftskrise ihre Schatten auf den Lehrbetrieb in der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik in Berlin zu Charlottenburg.
Politische Nervosität verbreitet sich, und der Beginn des kulturellen Desasters zeichnet sich ab. Schon 1932 verließen mehrere Lehrtätige die Hochschule. Am 30.6.1932 wurde ihr Direktor, Franz Schreker, nach zwölfjähriger Amtszeit von seinem Amt entbunden. Der Pianist und Komponist Artur Schnabel hatte die Hochschule schon Ende 1931 verlassen. Vor Beginn des Sommersemesters 1932 wurde einem großen Teil der Dozenten der Arbeitsvertrag zum Herbst gekündigt und ihnen das Betreten des Hochschulgebäudes untersagt. Dazu zählten der Geiger Carl Flesch, der Cellist Emanuel Feuermann, Frieda Loebenstein, Leonid Kreutzer, Bruno Eisner und andere. Der Musikhochschule, die Anfang der 1930er Jahre den Höhepunkt ihres Schaffens und damit Welt-Niveau erreicht hatte, wurde die Lebensader abgeschnitten. Der damalige Student an dieser Hochschule, Wladyslaw Szpilman, dem zuvor die Ausreise aus Deutschland wegen nicht bezahlter Studiengebühren angedroht worden war, kehrte nach Polen zurück.
Dennoch blickt Szpilman nach fast 70 Jahren mit Wehmut auf seine Studienjahre in der deutschen Hauptstadt zurück und schwärmt: „Berlin – das war meine schönste Zeit“. Er war 1931 nach Berlin gekommen, um seine Klavierstudien an der Musikhochschule unter der Leitung von Leonid Kreutzer fortzusetzen. Bei Franz Schreker absolvierte er seine Kompositionsstudien; bei Artur Schnabel nahm er Privatunterricht. In Berlin entstand unter anderem seine Suite für Klavier „Źycie Maszyn“ (1932, Maschinenleben) als Ausdruck des Zeitgeistes, deren Welturaufführung im Mai 2001 in Berlin mit Guenter Herzfeld als Pianisten stattfand. Nicht nur das breite Fächerangebot und die eigenen Aufführungen der Hochschule, die sich mit experimentellen Versuchen der Neuen Musik befasste, beeindruckten Szpilman, sondern auch die ganze Ausstrahlung der Weltstadt von damals faszinierte den jungen Studenten.
In deutscher Sprache schildert Szpilman während einer Matinee-Veranstaltung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin am 16.4.2000 im Theater am Halleschen Ufer Prof. Jürgen Rasinski seine Studienzeit in Berlin, der ein fünfjähriges Studium an der Warschauer Akademie Fryderyk Chopin vorausgegangen war. Er habe in Berlin sehr viel über Musik gelernt, viele Konzerte besucht und interessante Leute getroffen wie den Dozenten Emanuel Feuermann oder den Komponisten Paul Hindemith. Da er „sehr arm“ war, habe er ein Stipendium bekommen. Bei einem Cousin Szpilmans habe man in der Kaiserallee 46 oft musiziert und geprobt. Mit dem weltberühmten Violinvirtuosen, dem noch sehr jungen, 1918 geborenen Henryk Szeryng, der mit seiner Mutter nach Berlin gekommen war und Privatstunden nahm, habe Szpilman fast jeden Abend zu Hause gespielt. In jener Zeit hatte sich die Geigerelite der Welt in Berlin eingefunden unter der Ägide von Carl Flesch. Zu den damaligen Studenten dort gehörte auch der aus Lodsch (Łōdź) stammende Violinvirtuose und spätere Musikprofessor in Boston, Roman Totenberg. Szeryng gewann noch in Berlin zusammen mit Siegfried Borries den begehrten Mendelssohn-Preis und debutierte anschließend 1933 an der Warschauer Philharmonie. Später lebte er in Mexiko, wo er eine Musikschule gründete, und trat in Europa und Amerika auf. Berühmt waren vor allem seine Interpretationen der Solosonaten von Johann Sebastian Bach.
Szpilman war nicht nur ein bedeutender Pianist, sondern er komponierte auch. Sein Schaffen umfasste sowohl „leichte“ als auch „ernste“ Musik. Einer großen Popularität erfreuten sich auch schon vor dem Krieg seine Lieder, darunter Kinderlieder, Chansons und Songs – insgesamt über 1.000 -, von denen etliche richtige „Hits“ wurden. Hinzu kamen Hörfunkspiele sowie Filmmusiken und anderes, wie sein Sohn Andrzej Szpilman in seinem Vorwort zu dem Buch zum Film von Roman Polanski „Der Pianist“ schreibt. Dieser basiert auf Wladyslaw Szpilmans Autobiografie der Jahre 1939 – 1945 „Das wunderbare Überleben“. Die polnischen Texte zu Szpilmans Chansons stammen von K.J. Gałczyński (Deszcz – Regen), Kazimierz Winkler (To właśnie miłość – So ist die Liebe), R. Sadowski (Cicha noc – Stille Nacht) und vielen anderen. Szpilmann ist Erfinder und Mitbegründer eines internationalen Chanson- und Popmusikfestivals, das alljährlich im Sommer in dem Ostseebad Sopot (deutsch: Zoppot) stattfindet.
Die Arbeiten an einem „Concertino“ schloss Szpilman 1940 im Warschauer Ghetto ab. Zu den nach 1945 entstandenen Kompositionen der „ernsten“ Musik gehören mehrere symphonische Werke, die in Folge der Teilung des europäischen Kontinents im Westen weitgehend unbekannt geblieben sind. Anlässlich des 64. Jahrestages des 9. November 1938 sind erstmals in Deutschland im Theater Stralsund fünf Werke von Szpilman der Jahre 1936 bis 1968 vom Philharmonischen Orchester Vorpommern aufgeführt worden. Außer seiner Tätigkeit beim Polnischen Rundfunk in Warschau, wo er bis 1963 als Musikalischer Direktor wirkte, gab Szpilman unzählige Konzerte als Solist und Kammermusiker. Zu seinem wichtigsten Repertoire als Pianist gehörten neben eigenen Werke von Chopin und Rachmaninow. Szpilman gilt als bedeutendster Chopin-Interpret seiner Zeit. Als der Krieg ausbrach, spielte er im Rundfunkhaus das Nocturne cis-Moll op. posth. Nr. 20 von Chopin, mit dem er etwa sechs Jahre später seine Arbeit dort wieder aufnahm, so geht die Legende. Einige Zeit vorher hatte er das Stück dem deutschen Offizier Wilm Hosenfeld vorgespielt, der ihn gerettet hatte.
Vor dem Krieg war Szpilman zusammen mit Szeryng,Totenberg, Ida Händel und Tadeusz Wroński aufgetreten. Auch schon damals konzertierte er mit dem weltberühmten Geiger Bronisław Gimpel, ebenfalls einem Schüler von Flesch und späteren Professor an der University of Connecticut, mit dem zusammen er Anfang der 1960er Jahre das „Warschauer Klavierquintett“ gründete. Dieses trat in der ganzen Welt auf. Seine letzte Auslandsreise führte Szpilman auf Einladung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft wieder nach Berlin. Zusammen mit Rasinski plante er noch, in Berlin mit Schülern und Studenten Werke von Beethoven und Brahms zu erarbeiten, um diese auf die Teilnahme an Wettbewerben vorzubereiten. Er lebte nur noch gut zwei Monate.
Beatrice Repetzki
Foto: Marcus Lieberenz
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