und Deutschland – Vergangenheit und Zukunft

Articuli Henriciani

Sigismund II. August

Sigismund II. August

Der letzte Nachfahre aus der Dynastie der Jagiollonen, Sigismund II. August, hinterließ nach seinem Tod keine Nachkommen, was zum ersten Interregnum in Polen geführt hat. Aus diesem Grunde berief der polnische Adel im Januar 1573 den Warschauer Konvokationssejm ein, der das Datum und den Ort (Mai 1573, sog. Błonia bei Warschau) für die erste freie Wahl eines neuen Königs in Rzeczpospolita festgesetzt hat. Während der Tagung des Konvokationssejms verabschiedeten die versammelten Adelsvertreter eines der ungewöhnlichsten Dokumente in der Geschichte des Landes – die Generalkonföderation von Warschau. Der eigentliche Rechtsakt der General-konföderation, der sog. pax dissidentium, wird auf den 28. Januar 1573 datiert. Das Dokument selbst wurde allerdings erst im Mai nach der Wahl Heinrichs von Valois zum König verabschiedet. Es handelte sich dabei um eine Art Verfassungsdokument, zu dessen berühmtesten Passagen die Einführung eines konfessionellen Toleranzedikts gehörte.

Dieser Passus zur Religionsfreiheit sicherte einen bedingungslosen und dauerhaften Frieden zwischen den verschiedenen Religionsgruppen in Rzeczpospolita und garantierte im damaligen Europa verfolgten Dissidenten*, denen Polen auf seinem Gebiet Zuflucht gewährt hatte, gemäß der geltenden Regel Cuius regio, eius religio* die Gleichstellung mit den Katholiken sowie die Fürsorge des Staates. Ferner propagierte das Dokument Gewissensfreiheit und Toleranz des Adels. Zusätzlich räumte es dem Adel das Recht der Urteilsfällung über ungehorsame Bauern ein. Die Konfessionsfreiheit trug zur Entwicklung der Wissenschaft und der Kunst bei. Auch der Buchdruck hat sich in dieser Zeit zügig weiterentwickelt – es wurden Bücher in den Sprachen Polnisch, Deutsch und Lateinisch gedruckt.

Die Artikel der Generalkonföderation von Warschau enthielten neben der bedingungslosen Einhaltung der Gewissens- und Religionsfreiheit („Das Kleinod der Gewissensfreiheit“), welche an sich eine Ausnahme in der damaligen Zeit darstellten, ein bedeutungsvolles konstitutionelles Manifest, in dem die strukturellen Grundlagen von Rzeczpospolita geregelt wurden. Zu den höchsten Gütern des Manifests gehörten die Unteilbarkeit des Landes, seine Sicherheit, sein innerer Friede, seine Gerechtigkeit und Rechtsordnung. Die Wahl viritim wurde als geltende Form für die Wahl des Königs im Königreich Polen anerkannt. Der Kandidat für den Königsthron musste nicht nur die Beachtung aller Gesetze, Privilegien und Freiheiten garantieren sondern sich auch dazu verpflichten, ohne die Zustimmung des Sejms keine Entscheidungen im Hinblick auf Steuern und Geldstrafen sowie in Bezug auf die Einberufung des allgemeinen Aufgebots zu treffen.

Der Rechtsakt der Konföderation war der Vorläufer des mit Articuli Henriciani am 20. Mai 1573 während des Wahlsejms in der Nähe von Warschau verabschiedeten Grundgesetzes. Diese – im heutigen Sinne des Wortes – Verfassung beinhaltete Richtlinien bezüglich des Umfangs der königlichen Macht in Rzeczpospolita. Sie galt in unveränderter Form 200 Jahre lang, d.h. bis zur Verabschiedung der Verfassung vom 3. Mai im Jahre 1791.

Articuli Henriciani stellten eine Art von dauerhaftem Grundgesetz dar, das für alle zukünftigen Monarchen des Landes – angefangen mit Heinrichs von Valois, nach dem sie auch benannt wurden –verbindlich war. Die 21 Artikel des Dokuments wurden während des Wahlsejms im Jahre 1573 durch die in der Nähe von Warschau versammelte Schlachta niedergeschrieben. Sie verpflichteten jeden gewählten König, die dort formulierten Beschlüsse, die seine Macht im erheblichen Maße einschränkten, anzuerkennen. Sie erkannten freie Wahlen*  an und verboten [dem König?], einen Krieg oder das allgemeine Aufgebot ohne Zustimmung des Senats zu erklären sowie die Steuerabgaben ohne die Zustimmung des Sejms zu erheben. Sie verpflichteten den König, alle zwei Jahre den Sejm einzuberufen. Die Umsetzung der Beschlüsse wurde von 16 Residenten überwacht, die während des Sejms ausgewählt wurden. Im Falle der Verletzung oder der Nichtbefolgung der Gesetze oder Adelsprivilegien durch den König sicherten Articuli Henriciani der polnischen Schlachta die Möglichkeiten zu, den Gehorsam aufzukündigen (Aufruhr).

Im Unterschied zu Articuli Henriciani stellten die sog. Pacta conventa, die während des Wahlsejms [als eine Art Abkommen zwischen dem Adel und dem König] geschlossen wurden und dessen Anerkennung die Grundvoraussetzung für eine Königswahl war, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag dar. Sie wurden zwischen dem neu gewählten König und dem polnischen Adel vereinbart. Dieser Vertrag enthielt individuelle Verpflichtungen des gewählten Königs in Bezug auf Gesetze, Auslandspolitik, Verteidigung, Finanzen, Steuern, Finanzen im Bereich des Bildungswesens, Einwanderungspolitik und diesbezügliche Arbeitser-laubnisse sowie Schuldenrückzahlung.

Seit der Wahl des Heinrichs von Valois zum polnischen König im Jahre 1587 verschwammen nach und nach die Unterschiede zwischen Pacta conventa und Articuli Henriciani. Von diesem Zeitpunkt an verkörperten die Pacta conventa allgemeine Bedingungen, die jeder gewählte König als eine Grundvoraus-setzung für die Besteigung des Throns beim Schwur zu befolgen hatte. Die Pacta conventa schwächten die Position des Königs im Staat, das Hauptziel des Dokuments war allerdings der Schutz des Landes vor Interessenkämpfen einzelner Monarchen und Dynastien*. Im Jahre 1768 wurden die Pacta conventa in die vom Sejm verabschiedeten sog. Kardinalgesetze integriert. Die Kardinalgesetze wurden zum ersten Mal im XVII. Jahrhundert ausformuliert und fungierten als primäre und unveränderbare Gesetze des Landes. Sie garantierten dem Adel seine Vorrangstellung und wahrten die Interessen der Schlachta, wie z.B. freie Wahlen und Liberum veto*. Ferner schützten sie die Interessen der katholischen Kirche.

Articuli Henriciani und Pacta conventa wurden als Kardinalgesetze anerkannt.

 

 

Barbara H. Seemann – Trojnar
Übersetzung: Dr. Karolina Brock
Bild: Jan Matejko

 

* Das Wort Dissident (lat.) bedeutet „voneinander entfernt sitzen“, bezeichnet auch Andersdenkenden

* Cuius regio, eius religio (lat.) bedeutet – Wessen Gebiet, dessen Religion.

* Freie Wahl – Wahl des Monarchen ungeachtet der Dynastie (in Polen seit 1572)

* Dynastie (griech. dynasteia – Macht) – Herrschergeschlecht

* Liberum veto (lat.) = ich verbiete – Recht, nach dem jeder Abgeordnete alleine durch seinen Einspruch den Sejm oder einen Beschluss zu Fall zu bringen vermochte

 

 

Bibliografie
Mieczysław Tomala: Polen – Deutschland, tausend Jahre Nachbarschaft
Doc. dr Tadeusz Łebkowski: Kleines Wörterbuch der Geschichte Polens (Mały słownik historii Polski)
Jan Matejko: Liste der polnischen Herrscher (Poczet królów polskich)