und Deutschland – Vergangenheit und Zukunft

Die Fryderyk Chopin Gesellschaft

Bald nach dem Tode Chopins begann man in Polen ihn zu verehren. Zwangsläufig musste eine gesellschaftliche Einrichtung ins Leben gerufen werden. Es war die 1871 gegründete Warschauer Musik-gesellschaft (WTM). Sie ließ eine Gedenktafel und die Urne mit dem Herzen Chopins in der Hl.-Kreuz-Kirche in Warschau (1880) einmauern und eine Obelisken zu Ehren Chopins (1894) in Żelazowa Wola aufstellen. 1899 entstand bei der Musikgesellschaft die Abteilung „Fryderyk Chopin“, die sich zum Ziel setzte, Konzerte planmäßig zu veranstalten, ein Museum einzurichten und Werke herauszugeben. Sie appellierte an die Bevölkerung Gegenstände und Schriften, die mit dem Leben und Schaffen Chopins verbunden sind, einzusenden. Der Appell fand einen weiten Widerhall.

Zugleich wurden wissenschaftliche Forschungen in Angriff genommen, u.a. an der Bearbeitung der Brief Chopins. 1907 wurde die Initiative ergriffen, Chopins sterbliche Überreste nach Polen zu überführen und sie in Wawel-Schloss zu bestatten. Die Abteilung „Fryderyk Chopin“ trug auch dazu bei, 1911 die Societe Frederic Chopin a Paris zu gründen. Kurz vor dem ersten Weltkrieg konzentrierte diese Abteilung die Chopin-Forschung. Sie war jedoch nicht das einzige Zentrum des Chopin-Kultes in seiner Heimat. In Lemberg (Lwów) wirkte die Fryderyk Chopin-Gesellschaft, deren erstes Ehrenmitglied 1912 Ignacy Paderewski wurde. 1919 entstand bei der Warschauer Musikgesellschaft der Musikschule „Fryderyk Chopin“. Obwohl 1926 in Warschau die Gesellschaft der Freunde des Chopin–Hauses und in Sochaczew das Chopin–Komitee sowie 1930 das Baukomitee des Chopin-Hauses in Żelazowa Wola wie auch 1932 das Landeskomitee der Chopin-Tage entstanden, wurde es immer mehr erfor-derlich, ein authentisches Chopin–Forschungszentrum zu gründen. Der „spiritus rector“ des neuen Unterfangens war Mieczysław Idzikowski. Im Aufruf „An die Polen“ hob er die Notwendigkeit hervor, Chopins Werke herauszugeben. Er behauptete, es sei geradezu beschämend, dass es bisher nicht geschah. Im August 1933 unterbreitete er dem Ministerium für Konfessionsfragen und Bildung einen Vorschlag, eine Chopin-Vereinigung ins leben zu rufen. Mieczysław Idzikowski gewann für seine Idee Mieczysław Łubkowski, Leopold Binental, Karol Stromenger, Maurycy Mayzel, Zofia Jaroszewicz, Władysław Idzikowski und Witold Maliszewski. Sie gründete ein Organisationskomitee, das auf zehn Sitzungen (zwischen Oktober 1933 und März 1934) die Zielsetzung und das Programm der künftigen Vereinigung formuliert hatte. Auf Vorschlag von L. Binental wurde der Vereinigung der Name „Fryderyk-Chopin-Instytut“ verliehen. Mit der Ausarbeitung der Satzung wurde Witold Maliszewski betraut. Den Satzungsentwurf haben 32 Gründungsmitglieder, unter ihnen Janusz Jędrzejewicz, Józef Beck, August Zaleski, Stanisław Niewiadomski, Kazimierz Sosnkowski, Henryk Opieński, Emil Młynarski, Juliusz Kaden-Bandrowski paraphiert. Das Fryderyk-Chopin-Institut wurde am 17. März 1934 eingetragen. Am 11. April wurden auf der Informationsversammlung zwei bedeutungsvolle Programmreferate gehalten: „Zur Bewerkstelligung der ersten kompletten wissenschaftlich-künstlerischen Ausgabe der Werke von Chopin“ von Mieczysław Idzikowski und „Über das Museum, Archiv und die Bibliothek des Fryderyk-Chopin-Institituts“ von Leopold Binental. Eine Woche später, am 18. April 1934, fand die erste Generalversammlung des Instituts statt, die die offizielle Tätigkeit in die Wege leitete.

Seit 1939 wurden viele Arbeiten des Institutes mit Erfolg gekrönt. Die größte war die Inangriffnahme der polnischen Erstausgabe der gesammelten Werke unter der Redaktion des weltberühmten Klaviervirtuosen Ignacy Paderewski. 1936 entstanden ein Redaktionskollegium mit Ludwik Bronarski, Zbigniew Drzewiecki, Bronisław Keuprulian-Wójcik, Józef Turczyński und ein Verlag-ausschuss mit Mieczysław Idzikowski und Jan Piątek. Die graphische Gestaltung der Ausgabe besorgte Mieczysław Kotarbiński, Autor des Verlagszeichens. 1938 wurde die Subskription für „Gesammelte Werke“ veröffentlicht, die von der Krakauer Firma „Styl“ gedruckt werden sollten. Das erste Heft „Balladen“ sollte bereits 1939 herauskommen, bekanntlich ist es erst 1949 erschienen.

1938 wurden auf Bemühen des Institutes bedeutende Sammlungen von Editionsautographen und autorisierten Kopien der Werke Chopins angekauft. 1935 schlug der führende Verleger der Werke Chopins, die Firma Breitkopf und Härtel, der Regierung der Republik Polen vor, ihr etwa fünfzehn Autographe Chopins, darunter das Klavierkonzert f-Moll, Phantasie f-Moll, Polonaise- Phantasie As-Dur, Nocturne aus opp.24,33, 56 Allegro de concert zu verkaufen. Das Angebot umfasste, wie es sich später herausstellte, eine Reihe autorisierter Kopien, die anfänglich als Autographe bezeichnet wurden, sowie Briefe an Chopin und Daguerreotypen* aus den letzten Lebensjahren des Komponisten. Als entscheidendes Argument für die Anschaffung der angebotenen Sammlung brachte das Institut die Notwendigkeit vor, Materialien für die Redaktion der Quellenausgabe „Gesammelte Werke“ sammeln zu müssen. Die gekauften Wertexemplare sollten im Institut deponiert werden, da sie eben dank den Bemühungen des Institutsvorstandes nach Polen gelangten. Diese Sammlung konnte zusammen mit dem 1936 erworbenen Autograph des Trios g-Moll und später gekauften zwei Unterschriften sowie Chopins Briefen an Julian Fontana und seine Eltern, mit Glückwunschkarten an Vater und Mutter sowie vier Blättern der bekannten „Tageszeitung von Szafary“ der Grundstock eines Chopin-Museums sein. Da es keinen festen und entsprechenden Sitz für das Museum gab, was eine Bedingung des Ministeriums für Konfessionsfragen und Bildung war, wurden diese Museumsexponate der Nationalbibliothek „Jōzef Piłsudski “ überreicht. Die „Gesammelte Werke“ und der Ankauf der Schriften waren nicht die einzige Initiative des Institutes vor dem Kriege. Es übte auch popularisierende Tätigkeit aus. 1936 wurde das Redaktionskollegium der Zeitschrift „Chopin“ ins Leben gerufen, die eine wesentliche Lücke im polnischen Musikschrifttum ausfüllte. In der Redaktion der Zeitschrift arbeiteten namhafte polnische Musikologen wie Zdzisław Jachimecki und Henryk Opieński. Das Institut popularisierte das Leben und Schaffen Chopins auch unter der Jugend. Um die Mitte der dreißiger Jahre wurde ein Wettbewerb fürdas beste Buch über Chopin für Grundschüler ausgeschrieben. Den ersten Preis gewann Tadeusz Mayzner für das Buch „Chopin“.

Der Kriegsausbruch hat die Tätigkeit des Institutes nicht lahm gelegt. Vor der Kapitulations-Warschaus fand am 6. September 1939 die letzte Sitzung des Vorstandes statt. Er wählte neue Behörden; Vorsitzende wurde Bolesław Woytowicz, während der Okkupation Eigentümer der bekannten Künstlercafes in der Nowy-Świat-Straße. Das wichtigste Ziel der Mitarbeit des Institutes war es, die Sammlungen zu retten und zu schützen. Kurz vor der Kapitulations-Warschaus ist ihnen gelungen, Chopins Schriften und Gegenstände aus der Sammlungen der Nationalbibliothek ins Ausland zu bringen. Sie wurde zusammen mit anderen nationalen Kulturgütern über Rumänien, Frankreich, Großbritannien nach Kanada gebracht und dort am 13. Juni 1940 in Safes der Bank of Montreal in Ottawa hinterlegt. Nach Polen kehrte sie erst 1959 zurück. Die meisten Manuskripte, Dokumente und Andenken an Chopin wurden im Ausland verwahrt. In Warschau blieben jedoch Erinnerungsstücke, Eigentum des Fryderyk-Chopin-Iinstitutes, darunter das Autograph des Trios g-moll. Sie waren mit anderen wichtigen Dokumenten des Institutes im Safe der Handelsbank in Warschau untergebracht. Das Gründungsmitglied des Institutes Miechysław Idzikowski beschloss, diese herauszubekommen, was eine sehr gefährliche Aufgabe war. Die Deutschen kannten nämlich den Aufbewah-rungsort der Manuskripte und bewachten sie streng. Idzikowski tauschte die wertvollen Drucke mit Einverständnis eines der Bankbeamten gegen andere Manuskripte und Dokumente aus. Darunter befand sich ein 1872 an seine Familie aus Kowalewo gesandter Brief Chopins (leider wurde er 1944 beim Brand der Bank vernichtet). Die von Idzikowski geretteten Dokumente waren ein wahrer Schatz und gaben dem Museum der Fryderyk-Chopin-Gesellschaft in Warschau den Anfang.

Während der Okkupationszeit waren Konzerte klassischer Musik, insbesondere polnischer Komponisten, streng verboten. Sie wurden illegal in Privatwoh-nungen veranstaltet. Viele Salons der Warschauer Intelligenzkreise standen für Künstler und Musikfreunde offen. Im Repertoire überwog polnische Musik. Die sog. „Revolutions-etüde“ und Polonaisen von Chopin gehörten zum festen Konzertprogramm. Die Zahl der Zuhörer lag jedes Mal zwischen vierzig und hundert. In Warschau fanden damals mindestens einige hundert illegale Konzerte statt, viel davon zu Chopin-Jahrestagen. Während des Krieges wirkte das Institut nicht nur in Polen. Ludwik Bronarski und Józef Turczyński realisierten in der Schweiz das wichtigste Anliegen des Institutes – die herausgaben der „Gesammelten Werke“. Kurz vor Kriegsausbruch fuhr Józef Turczyński in die Schweiz, wo Ignacy Paderewski und Ludwik Bronarski weilten. Turczyński brachte reiches Quellenmaterial aus Polen mit, das ihm der Institutsvorstand anvertraute. Es scheint, dass die „Gesammelten Werke“ im Zeitraum von 1939/1945 eine endgültige Gestalt angenommen haben. Gleich nach dem Krieg nahm das Institut seine Arbeit auf. Am 24. Mai 1945 wurde die Generalversammlung der Mitglieder abgehalten und der neue Vorstand mit Adam Wieniawski als Präsident gewählt.

Am 10. September 1945 wurde beschlossen, das Herz Chopins nach Warschau zurückzubringen.

 

 

Barbara H. Seemann – Trojnar

 

 

* Daguerreotypie ist ein Fotografie-Verfahren des 19. Jahrhunderts
 

 
Bibliografie
Fryderyk – Chopin – Gesellschaft, Warschau (Warszawa)
Die Polnische Agentur Interpress: Ein Blatt über Polen