Geschichte der polnischen Literatur
Das Wort „Literatur“ hat in der polnischen Sprache eine doppelte Bedeutung – auf eine Seite beinhaltet es das ganze Schrifttum, auf der Anderen hat es eine engere Bedeutung, da bezieht es sich nur auf die so genannte schöne Literatur, d. h. Werke mit einem ästhetischen Wert. Es ist die so genannte schöne Literatur, deren Eigenschaft und Aufgabe es ist, in den Lesern ästhetische Gefühle zu wecken. Deswegen gehört diese Literatur zu Kunstarten. Literatur ist oft als Wortkunst bezeichnet, da für den Schriftsteller oder Poet das Wort als künstlerisches Mittel dient; im breiten Sinne – die Sprache. Die Sprache dient als Verständigungsmittel zwischen Menschen, stellt deren Gefühle und Gedanken dar.Wenn ein Wort bei dem Leser ästhetische Eindrücke weckt, die der Künstler beabsichtigt hat, sprechen wir hier über literarische Sprache.
Es ist sehr schwierig eine Grenze zwischen der Alltagssprache und der Literatursprache zu ziehen, da die aufgeklärten Schichten sich einer schönen literarischen Sprache im Alltag bedienen. So hat diese Sprache einen Einfluss auf die Alltagssprache der anderen – sie bereichert sie und macht das Leben schöner. Seit undenklichen Zeiten hat sich die Literatur einer internationalen Sprache bedient – es war Latein. Latein war Vorlesungs- und Lehrsprache in den mittelalterlichen Schulen. Die Ausbildung im Mittelalter hat die Kirche organisiert und völlig kontrolliert. Die Lehrer in den Schulen waren ausschließlich Priester.
Die mittelalterliche Weltanschauung, vor allem die Askese, hat auch die damalige Kunst beeinflusst. In jeder Kunstart des Mittelalters kann man die Geringschätzung der Realität bemerken. Der mittelalterliche Künstler suchte nach Inspiration jenseits irdischen Lebens. Die menschliche Seele schaute zu Gott, nicht zu den angenehmen Seiten des Daseins. In den literarischen Werken hat die Vorstellungskraft die Hauptrolle gespielt. Man hat die menschliche Seele, das Streben nach Ideal und Vollkommenheit angebetet. In der mittelalterlichen Architektur dominiert der gotische Stil, große und hohe Türme symbolisieren den Steilflug der menschlichen Seele zu Gott. Die religiösen Erlebnisse wurden zur Quelle der literarischen Inspirationen. Die damalige Literatur beinhaltet deswegen eine reiche religiöse Lyrik, Sagen und Mysterien. In diesen Zeiten des Feudalismus hat das Rittertum eine bedeutende Rolle gespielt, so besingt die ritterliche Poesie die heldenhaften Taten der Ritter, die der Kirche, dem feudalistischen Herren und der Herzensdame treu dienten. Die Hofpoesie gehörte zu dem reichsten Teil der mittelalterlichen Literatur. Diese Poesie ist auf der Grundlage der Umgangsformen der Hofkultur bei den königlichen oder adligen Höfen entstanden und ihr Hauptthema war die idealisierte Liebe zur Frau.
Im Vergleich zu anderen Ländern des damaligen Europas war die polnische mittelalterliche Literatur ziemlich arm. Noch dazu hat sie sich recht spät entwickelt und beinhaltete ausschließlich in Latein verfasste religiöse Poesie. Dies geschah, weil während des ganzen Mittelalters in Polen nur die Geistlichkeit eine ausgebildete Schicht war. Der Bürgerstand war ziemlich schwach repräsentiert und dazu meistens von anderer Nationalität, das Rittertum hat erst am Ende des Mittelalters den materiellen Status und damit auch das kulturelle Niveau erreicht. Die ältesten Denkmale polnischen Schrifttums – Geschichtsschreibung – kann man wegen des Inhalts und der Sprache nicht zur schönen Literatur zählen. Sie sind jedoch wegen ihres historischen Werts sehr interessant, sie ermöglichen einen Einblick in die Entstehung der polnischen Kultur und des polnischen Schrifttums.
Zu den ältesten Schriftstücken solcher Art gehören die so genannten Annalen (Jahrbücher). Sie bestehen aus kurzen Notizen mit historischem Inhalt. Sie wurden von den Klostermönchen verfasst und sind heute die einzigen Informationsquellen über die damalige Zeit.
– Chronik des Gallus ist eine erste Chronik des XII. Jahrhunderts. Gallus Anonymus war ein Ausländer, der auf besondere Weise die Geschichte der polnischen Herrscher von Popiel bis Bolesław Krzywousty (Boleslaw II. Schiefmund) beschrieben hat. Die angenehme Form dieser Chronik bewirkt, dass die erste Geschichtsschreibung Polens auch die Eigenschaften eines epischen Poems hat, das beim Lesen interessiert und gleichzeitig amüsiert. Keine der späteren mittelalterlichen Chroniken wurde mit so viel Begabung geschrieben.
– Wincenty Kadłubek hat seine Chronik über die Geschichte Polens Anfang des XIII. Jahrhunderts in vier Bänden verfasst. Sie fängt mit den Märchenzeiten an und endet 1206. Als Kadłubek beschrieb als Erster die Sage von Krakus und Wanda. Diese Chronik hat keine historische Bedeutung, da der Verfasser ein Anhänger der Kirche und deren Dominanz war und demzufolge seine Faktendarstellung sehr parteilich war. Aufgrund der Form und Sprache ist die Chronik jedoch interessant und sie dient als Beispiel für mittelalterliches Latein.
– Janko aus Czarnków war ein Höfling beim König Kazimierz Wielki (Kasimir III. der Große) und für seine Chronik wählte er die Tagebuchform. Obwohl die Chronik sehr viele Fakten aus dem damaligen Leben beinhaltet, ist sie sehr subjektiv geschrieben.
– Jan Długosz hat ein großartiges Werk verfasst, das die Geschichte Polens beschreibt und die intellektuelle Entwicklung in der damaligen Zeit zeigt. Diese Chronik wurde zum Ende des polnischen Mittelalters geschrieben. Inzwischen verbreitete sich in Europa ein neuer intellektueller Trend, der Humanismus. Das Werk von Długosz hat jedoch alle Eigenschaften einer mittelalterlichen Chronik: eine chronologische Darstellung, die Freiheit in Faktenergänzung, eine genaue Beschreibung der Ereignisse sowie didaktische Bemerkungen. Die Chronik von Jan Długosz wurde im Vergleich zu anderen ähnlichen Werken kritisch geschrieben. Długosz übertraf mit seinem historischen Wissen und seiner Genauigkeit bei der Sammlung von Daten alle seine Vorgänger. Für Historiker bildet diese Chronik eine wichtige Informationsquelle.
Lediglich von historischem Wert sind auch:
– Kazania świętokrzyskie (XIII. Jh.) und Kazania gnieźnieńskie (XIV. Jh.) sind in Form von Predigten und außerdem die ältesten Dokumente der polnischen Prosa.
– Psałterz (Psalter) floriański (XIV. Jh.) älteste Übersetzung der David-psalmen in drei Sprachen: Latein, Polnisch und Deutsch.
– Psałterz (Psalter) puławski (Der Name stammt vom Aufbewahrungsort – Bibliothek von Czartoryski in Puławy.)
– Biblia (Bibel) Szarospatacka (Der Name stammt vom Aufbewahrungsort des Manuskriptes in der ungarischen Stadt Szaros-Patak.)
– Rozmyślania (Überlegungen) przemyskie oder Das Leben der Heiligen Familie, das Manuskript ist wegen seiner Sprache und literarischer Form von Bedeutung. Es gehört zu den typischen mittelalterlichen Apokryphen. Es sind eine Art utopischer Erzählungen, die auf historischen Informationen über das Leben von Heiligen basieren und durch die Fantasie des Verfassers ergänzt wurden. Das beste Beispiel derartiger Erzählungen ist der Roman über den makedonischen König Alexander der Große.
Die ältesten Manuskripte polnischer mittelalterlicher Poesie drücken tief religiöse Gefühle in einer kunstvollen Form aus.
– Das Lied Bogurodzica gehört zu den ältesten und bekanntesten polnischen religiösen Liedern (XIII. Jh., obwohl seine Urheberschaft dem Heiligen Wojciech zugeschrieben wird, es also aus dem X. Jh. stammt). Das Lied charakterisiert sich durch einen sehr kunstvollen Stil und Reimstruktur. Im XV. Jahrhundert wurde das Lied Nationalhymne und Kampflied des polnischen Rittertums. Die polnischen Ritter haben das Lied vor dem Kampf am Grundwald 1410, vor der Schlacht um Warna 1444 und während der festlichen Gottesdienste gesungen. Im XVI. Jahrhundert ist das Lied in Vergessenheit geraten, so dass im XVIII. Jahrhundert das Kirchenoberhaupt befohlen hat, das Lied jeden Sonntag am Sarg des Heiligen Wojciech in der Gniezno Kathedrale zu singen, um zu verhindern, dass das Lied endgültig vergessen wird. Die älteste Abschrift des Liedes stammt aus dem XV. Jahrhundert.
– Die anderen religiösen Liedern aus dem XIV. und XV. Jahrhundert sind das Lied über die Passion Christi (Pieśń o męce Pańskiej), Die Klage der Gottesmutter unter dem Kreuz (Skarga Matki Boskiej pod Krzyżem), Passion Christi (Żołtarz Jezusów), Das Lied über den heiligen Geist (Pieśń o Duchu Świętym), Die Sage vom Heiligen Aleksy(Legenda o Świętym Aleksym). Eine besondere Bedeutung verdient:
– Unterredung des Meisters mit dem Tod (Rozmowa Mistrza ze Śmiercią). Es ist ein Gedicht mit reichem satirischem Inhalt, das auch als Sittendokument der damaligen Zeit diente. Humorvoll und boshaft beschreibt das Gedicht die korrumpierten Richter, Dirnen, die betrügerischen Ärzte und den Klerus, der seine Aufgaben schlecht erfüllt.
Die polnischen Schriftquellen in der früheren Piastenepoche sind ziemlich rar. Das wundert auch nicht, da die polnische Geschichtsschreibung erst im XII. Jahrhundert begonnen hat. Über Polen als Land haben die ausländischen Autoren geschrieben und widmeten ihre Werke dem Heiligen Wojciech oder Otto aus Bamberg. Bemerkungen über Polen befinden sich auch in der parteilichen und ungenauen Chronik von Thietmar, Bischof aus Merseburg sowie in den fremden Geschichtsquellen oder in den Notizen der Händler und arabischen Geographen wie Ibn-Rusty, Al-Masudi und Ibrahim ibn-Jakub. Erhalten geblieben sind einige diplomatische Dokumente wie Dagome ludex, Prager Dokument aus dem Jahr 1086, ein Brief der Matilde von Schwaben an Mieszko II, ein Brief des Papstes Gregor VII. an Bolesław Szczodry (Boleslaw II. der Kühne) und zwei Bullen des Papstes Innozenz II.
Im XI. Jahrhundert auf dem Hof des Kasimir III. der Erneuerer (Kazimierz Odnowiciel ) ist ein Auszug aus allen Jahrbüchern erarbeitet worden. Seine Entstehung zeigt das Bedürfnis nach Festigung eigener nationaler Traditionen, das am Krakauer Hof zum Vorschein kam. Außer der Jahrbücher sind auch die Kalender bekannt, die ein unabdingbarer Teil des Messbuches waren. Sie beinhalteten eine chronologische Ausführung von beweglichen und unbeweglichen Feiertagen. Die mittelalterlichen historischen Werke, egal ob Chroniken, Biografien von Herrschern oder Heiligen, sind nicht nur aus Erkenntnisgründen geschrieben. Die Autoren haben mit Nachdruck die pragmatische Aufgabe der Geschichte und Literatur (damals waren die Bereiche unzertrennlich) vermittelt und ihre Werke sollten als Nachahmungsmuster dienen. Sie sollten missbilligen, erklären aber auch lehren. In den mittelalterlichen Werken sprechen musterhafte Herrscher oder heldenhafte Ritter oder gütige Geistliche. Deswegen hatten diese Werke eher Anekdoten, moralische Überlegungen oder politische Parolen zum Inhalt gehabt als Fakten und glaubhafte Geschichten.
Barbara H. Seemann – Trojnar
Übersetzung: Katarzyna Schilling-Sperber
Bibliografie
Tadeusz Manteuffe: Polen der ersten Piasten
Teofil Wojeński: Die Geschichte der polnischen Literatur