und Deutschland – Vergangenheit und Zukunft

Misia Godebska – Sert (1872 – 1950)

Misia Godebska-Sert

Misia Godebska-Sert

… polnische Freundin der französischen Künstler. Ein wahres Orakel in Mode- und Kunstfragen, von dem künstlerischen Paris der erlebnisreichen Jahre Anfang des letzen Jahrhunderts wohl bekannt und geschätzt. Ihr guter Geschmack und ihre Visionen haben einen wesentlichen Einfluss auf die zeitge-nössische Kunst gehabt. Sie war die Muse von Renoir, sowie von Toulouse-Lautrec, die Heldin des Romans von Proust und Colette. Debussy und Strawiński haben ihr ihre Werke gewidmet. Das Frühstück nahm sie mit Toscanini ein. Zu dem Kreise ihrer engsten Freunde gehörte der Poet und Essayist Paul Ambroise. Mit Diagilew verband sie eine tiefe Freundschaft, sowie die gemeinsame Sorge um die berühmten russischen Ballette. Misia stammte aus einer polnischen Familie mit starken patriotischen und künstlerischen Traditionen.

Ihr Vater Cyprian III Godebski war ein in ganz Europa und Südamerika bekannter Bildhauer, der sich mit dem Mickiewicz-Denkmal in Warschau in die Erinnerung seiner Landsleute eingeprägt hat. Der tief verwurzelte Wunsch der Familie Godebski nach Freiheit Polens war auch der Grund für die Teilnahme ihrer Angehörigen an nationalen Befreiungskämpfen – der Urgroßvater, Cyprian I, ein Soldat der Italienischen Legion*, ist in der Schlacht von Raszyn* gefallen. Der Großvater, Cyprian II kämpfte bei dem Novemberaufstand 1830/31*.

Misia (Kosename) kam am 30 März 1872 als Maria Sophie, Tochter eines in Frankreich geborenen Polen und einer Belgierin in Sankt Petersburg zur Welt, ihr Heim war jedoch in Paris, wo sie schnell zu einem festen Bestandteil der Pariser Gesellschaft wurde. Ihre lebendige Leidenschaft und ihr Enthusiasmus verrieten jedoch ihre polnische Herkunft. Ebenfalls den polnischen Klang ihres Namens behielt Misia für immer. Sie liebte es durch Pariser Boulevards zu spazieren, gebackene Kastanien zu essen und die kleinen Straßenmärkte zu besuchen, von welchen sie jedes Mal eine Kleinigkeit mitbrachte. Nach langen Wanderungen durch die zahlreichen Museen, Kirchen und alten Pariser Gassen ruhte sie am liebsten auf einer gemütlichen Sitzbank des Jardin du Luxembourg.

Den hohen gesellschaftlichen Status in Paris gewann Misia an der Wende des XIX und XX Jahrhunderts. Nicht ohne Bedeutung waren dabei die guten Beziehungen ihres Vaters, sowie ihres ersten Ehemannes Tadeusz Natanson, des Kunstkritikers aus Warschau. Ebenfalls ihr unabhängiges Denken und künstlerischer Instinkt haben sie nie enttäuscht, sowie auch ihre guten Kunst- und Musik-kenntnisse. Ihr Pariser Salon erschuf Künstler und das Verweilen dort eröffnete Türen zu der großenWelt der Anerkennung. Sie half jungen unbekannten Künstlern, denen noch keiner Beachtung schenkte, dessen großes Potential sie aber längst erkannte, ihre Flügel auszubreiten. Sie verhalf einem armen und bis dahin unbekannten Poeten, dem gebürtigen Polen Guillaume Apollinaire (Albert Vladimir Apollinaris de Wąż-Kostrowitcky) nach Paris, der später zu dem hervorragendsten französischen Lyriker der Zwanziger Jahre des damaligen Jahrhunderts wurde. Oft lud Misia ihre Bekannten und Freunde in die besten Restaurants zum Mittagessen ein. Bei einem dieser Essen saß ein blutjunger und, damals noch nicht bekannten Maler mit am Tisch, der gerade aus Spanien kam und seine Werke mit P. Ruiz Picasso* signierte.

Am 30 Mai 1917 machte Misia während eines Festes bei einer bekannten pariser Schauspielerin, Cecile Sorel, die Bekanntschaft des jungen Fräuleins Gabriele Coco Chanel* und beschloss ihr dabei zu verhelfen, der großen Gesellschaft anzugehören. Von diesem Moment an wurde Gabriele Coco Chanel zu einer wahren Persönlichkeit. Auf den Rat des Fräuleins Chanel schneidet die pariser Damenwelt ihr Haar auf einmal kurz, die Frauen sonnen sich und schlafen in Pyjamas, sie tragen kurze sportliche Kleider und Röcke. Schon bald wechseln sie zu den schlicht geschnittenen und doch sehr schicken Kostümen, sowie zu den sehr kostspieligen schwarzen Abendkleidern, die jedoch immer noch einen Hauch von Bescheidenheit bewahren. Die Zeit für das weltberühmte „Kleine Schwarze“ ist nun gekommen und Misia war es, die das Genie von Chanel im Vorfeld erkannt hat. Sie spielte selbst eine entscheidende Rolle im Leben des Fräuleins Gabriele – der Nachname Misias war der Schlüssel zum Tor des Erfolges der genialen Chanel. Im Laufe der Zeit entstand eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden Frauen, die bis zu Misias Lebensende andauerte. Chanel begleitete Misia sowohl in glücklichen als auch in sehr harten Zeiten wie bei der Trennung von ihrem geliebten dritten Mann José Maria Sert*. Misia, die voller Geschmack, Selbstbewusstsein und Mut war und anderen stets hilfsbereit zur Seite stand, prägte zusammen mit  Chanel die Modewelt der damaligen Epoche wesentlich. Jedes Jahr nahm sie Coco Chanel mit in die USA, um ihr zu helfen sich auf dem amerikanischen Markt zu etablieren. Fräulein Chanel revanchierte sich, indem sie Misias Kunst-Schmuck nach deren Ideen lancierte.

Fast das gesamte Leben Misias fällt in die Dritte Republik, Belle Epoque, in die verrückten Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis hin zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie begann ihre Reise in Rembrandts Hut, in sehr luxuriösen und üppigen Spitzenkleidern und einer Boa um den Hals gebunden. Mit der Zeit gehend wechselte sie diese Pracht bald zugunsten der schlichten Kostüme und der Mode aus dem Hause Poiret, die sie jedoch schon bald darauf zugunsten des „Kleinen Schwarzen“ von Coco Chanel, verriet. In ihren Modelkleidern nahm sie Abschied von der Welt, als sie am 15 Oktober 1950 in Paris starb.

Weißt Du, dass

… es Misia persönlich war, die Coco bei dem Entwerfen und Lancieren des weltberühmten Chanel N°5 geholfen hat

 

Barbara H. Seemann – Trojnar
Übersetzung: Dr. Ewa Trojnar

 

 

* Die Polnische Legion (1797) waren die von Jan Henryk Dąbrowski in Mailand und mit Genehmigung der französischen Regierung aufgestellten Truppen. Die Legion kämpfte zwischen 1798 und 1800 mit Auszeichnung in Italien

* Die Schlacht von Raszyn (19.04.1809) zwischen österreichischen Armee und dem Heer des Herzogtums Warschau. Mit der Schlacht eroberten die Öster-reicher die polnischen Hauptstadt Warschau

* Der Novemberaufstand (der sog. Kadettenaufstand) war der erste große Aufstand der Polen, der die Unabhängigkeit Polens zum Ziel hatte

* Pablo Picasso (1881-1973) war ein spanischer Maler, einer der bedeu-tendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Sein umfangreiches Gesamtwerk hatte großen Einfluss auf die Kunst der Moderne

* Gabrielle Bonheur Coco Chasnel (1883-1971) war eine französische Mode-schöpferin und Begründerin des Chanel – Modeimperiums

* Josep Maria Sert i Badía (1876-1945) war einer der führenden Maler der spanischen Kunstszene des 20. Jahrhunderts

 

 

Bibliografie
Ewa K. Kossak: Misia z Godebskich