und Deutschland – Vergangenheit und Zukunft

Der Barock

Der Barockstil entwickelt sich im Züge der Gegenreformation oder eigentlich von dem Moment an, da der Jesuitenorden in Erscheinung tritt (1564). Sein typisches Gotteshaus, die römische II-Gesu-Kirche nach einem Entwurf von Vignola, findet ihre Replik in gestalt der Krakauer Kirche St. Peter und Paul (16-17.Jh.) und wird zum Vorbild für viele Jesuitenkirchen, die zu jener Zeit in Polen gebaut wurden (z.B.: Kalisz, Warszawa, Poznań, Lublin), aber auch für zahlreiche Kirchen in den Ostgebieten (z.B.: Nieświerz, im Jahre 1584, also nur zwei Jahre nach der Errichtung der Kirche II Gesu in Rom). Einige ebenso rege Tätigkeit entfalten die Jesuiten in der Region Niederschlesien (Dolny Śląsk), wo ihre repräsentativsten Bauwerke die heutige Aula der Universität in Wrocław und des früheren Jesuitenkolleg mit Kirche sind (17.Jh.). In dieser Region entstehen auch monumentale Kirchenbauten, so eine Kirche mit ovalem Grundriss in Legnickie Pole (18.Jh.), die Zisterzienserkirche in Krzeszów (18.Jh.), die Abteikirche in Lubiąż (17.Jh.) und in Henryków (17.Jh.).

Die Anhänger der Reformation werden in ihren Baumöglichkeiten auf weniger beständige Objekte mit Holzskelett eingeschränkt, wie die evangelische Kirche in Świdnica (17.Jh.). Der aus Italien entlehnte Typ der Jesuitenkirche wird in seiner Originalform (Jarosław, 16. Jh.) oder mit entsprechenden Modifikationen wiederholt (Kalisz, 16.Jh.). Ebenfalls aus Italien, von der venezianischen Kirche St. Maria della Salute, stammt die Konzeption des zentralen Grundrisses mit dem Kapellenumgang (Gostyń, 17.Jh.). Mitunter wird sie zum ovalen Grundriss abgewandelt, so in der Gruppe der Lubliner Kirche nach dem Entwurf von P. Fontana (Lubartów, Lublin, 18.Jh.). Die für das Barock charakteristische Formen-bewegtheit mit ihrem Licht- und Schattenspiel ist oftmals an der Hauptfassade der Kirche exponiert, z.B. in Form von Säulen, die aus der Wandflucht hervortreten (Kirche der Visitinnennonnen in Warschau, 18.Jh.), von einge-stuften doppelten Tympana (Lubartów, Pfarrkirche 1733) oder geradezu wellen-förmigen Fassaden (Klosterkirche der Benediktinerinnen, Drohiczyn am Bug, 1747).

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Schloss Fürstenstein

Der produktivste Architekt des Barock in Polen war Tylman van Gameren; Er entwarf auch Profanbauten, wie das  Krasiński-Palais in Warschau (17.Jh.) oder das Palais in Nieborów (17.Jh.). Unter den für diese Epoche charakteristischen Schlossbauten ist auch die Bischofsresidenz in Kielce aus dem 17.Jh., mit vier Ecktürmen zu erwähnen. Ferner gehören dazu das später mehrfach erweiterte Schloss in Łańcut (17.Jh.) oder das im Barockstil umgebaute Schloss in Wiśnicz Nowy (17.Jh.). In Niederschlesien ist auf das Schloss in Żagań sowie auf das im Barockstil umgebaute Schloss Fürstenstein (Książ) zu verweisen. In Danzig dagegen ist als repräsentative Bauwerke die Bischofsresidenz in Oliwa (18.Jh.) mit dem in demselben Stil gestalten Park zu nennen. Gerade solche Schloss- und Gartenkom-positionen, angelegt nach dem Vorbild Versailles gehören zu dem wertvollsten Beispielen diese Stils, wie das Schlossensemble in Wilanów (17.Jh.) und in Białystok (18.Jh.), das auch als das Versailler der Region Podlasie bezeichnet wird.

Die Endphase des Barock bildete der Rokokostil, der überwiegend in Form von Dekorationen in freier, asymmetrischer Anordnung zur Anwendung kommt, sei es in Fassaden, wie in Zisterzienserabtei in Oliwa (18.Jh.) oder in Innenräumen wie das Weißer Pavillon im Łazienki-Park in Warschau (18.Jh.). Ein wertvolles Denkmal dieser Stilperiode und zugleich ein besonderen Einblick in ihrer Evolution zu Formen des Klassizismus stellt das Ensemble des Łazienki-Parks in Warschau dar, beginnend mit dem breites rewähnten Weißen Haus und dem Theater in der Alten Orangerie (18.Jh.) mit der illusionistischen Malerei der Galerie von J.B. Plersch, über das Myślewicki-Palais (18.Jh.) und insbesondere den Palais auf der Insel bis hin zu den bereits rein klassizistischen Konzeptionen am Theater auf der Insel (18.Jh.). Die auf der Bühne aufgestellten künstlichen Ruinen künden außerdem von diesen Interessen an Geschichte und Archäologie, die später die Formenwelt der Architektur des 19. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen sollten. In diese Periode fällt auch der Umbau der Innenräume des Königsschlosses in Warschau (18.Jh.), nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs wiederauf-gebaut von Bogusławski (1971-1982). Dies geschaut, ähnlich wie an den Łazienki-Objekten, unter dem außerordentlich engagierten Mäzenat des letzten polnischen Königs, Stanisław August Poniatowski. Ein ähnliches Mäzenat übten auch die führenden Adelsfamilien der Czartoryski, Radziwiłł, Lubomirski u.a. aus, was für Polen besonders nach dem Verlust der Unabhängigkeit wichtig war. Stanisław Kostka Potocki, als einer ihrer Vertreter, entwirft sogar gemeinsam mit P. Aigner eine der ersten klassizistischen Kompositionen, die Fassade der Kirche St. Annen in Warschau (18.Jh.).

Der unter dem Einfluss der Französischen Revolution entstandene Stil, der anschließend in die Formen des Empire übergeht und seine klassischen Vorbilder in der Architektur Griechenlands und Roms sucht, entwickelt sich am selbständigsten in dem an Russland angeschlossenen Königsreich Polen. So entsteht zu jener Zeit eine ganze Reihe monumentaler Gebäude, deren Architekt in vielen Fällen Antonio Gorazzi war: Großes Theater in Warschau (19.Jh.), Gebäude der Gesellschaft der Naturfreude, der sog. Staszic-Palast (1821), der Mostowski-Palast (1823), das heutige Amt der Hauptstadt Warschau (1824) oder dem Gebäude der Börse und der Polnischen Bank (1828). Alle diese Objekte und viele andere wurden nach 1945 wieder aufgebaut.

Der früheste und radikalste Bekenner des neuen Stils war Szymon Bodumił Zug. Er hatte sich ausführlich mit den neuen Strömungen in der europäischen Architektur beschäftigt, was unter anderem der von ihm für Helena Radziwłłówna (1778-1821) entworfene Arkadia-Park beweist, an dem sowohl in der großzügigen Gesamtanlage als auch in der klein Pavillons bereits Merkmale der aufkommenden Epoche der Romantik zuerkenne sind. Ähnliche Merkmale weist auch der twas  spätere Park von Isabela Czartoryska in Puławy auf (18.-19.Jh.). Er wurde von ihr und einigen Architekten, darunter auch P. Aigner, geschaffen, zu dessen Werken der klassizistische Sybillentempel (18.Jh.) und das bereits von Geist der Romantik geprägte Gotische Haus (19.Jh.) gehören. Unterdessen entstehen zahlreiche klassizistische Adelsresidenzen, Paläste und Gutshöfe wie z.B. das Schloss in Natolin, das Schloss in Lubastroń, das Schloss im Rogalin, das Schloss in Mała Wieś und das Belvedere in Warschau, (18.Jh.), das im neum Stil zur Residenz des Statthalters des Zaren, des Fürsten Konstantin, umgebaut wurde. In diesem Stil entstehen im ganzen Land auch viele gemeinnützige Gebäude wie das Rathaus und die Post in Łowich (19.Jh.), Post in Augustów (19.Jh.), die Bibliothek der Familie Raczyński in Poznań (19.Jh.). Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der Zeuge der Entstehung und Entwicklung der bis heute existierenden Industriezentren, so z.B. der Webe-reien im Raum Łódź mit dem planvolle, an den Bedürfnissen der Weber orientierten Siedlungsbau in Nowe Miasto (19. Jh.) oder der Arbeitersiedlung in Książy Młyn (19.Jh.) oder auch die bereits später entstehend, aber in einem spezifischen Charakter gestaltet Siedlung „Nikoszowiec“ aus dem 20.Jh. Auch in der Industriebetrieben stützt sich die Architektur anfänglich auf das Arsenal der klassizistischen Formen, erfährt mit der Zeit jedoch Vereinfachungen.

Kornik

Schloss Kórnik

Die ganz Europa, darunter auch Polen erfassend Romantik greift auf der Suche nach dem weiteren Entwicklungsweg der Architektur auf die Gotik, die Renaissance und das Barock zurück. Dabei bringt sie die sog. historisierenden Stile hervor wie Neogotik, Neorenaissance und Neobarock, durch deren beliebige Zusammensetzung in einem Bauwerk sie einschließend zum Eklektizismus führte. Beispiele für die Neogotik sind die Kirche und das Schloss im Kórnik (19.Jh.), das Gebäude des Collegium Novum der Jagiellonen-Universität und das Czartoryski–Museum in Krakau (19.Jh.). Einen hervorragenden Überblick über eklektische Architektur geben die Häuser in der Piotrowska–Straße in Łódź (19.-20.Jh.).

Bemerkenswert ist auch die noch konsequentere Suche nach Neuem, die bei dem in Europa aufkommenden Jugendstil ansetzt. Davon zeugen das Gebäude des Alten Theaters (20.Jh.) und die Häuserreihe in der Retoryka-Straße in Kraków (19.Jh.). Aus der Romantik geht auch eine architektonische Strömung hervor, die nach Eigenständigkeit strebt. Am stärksten zeichnet sich der Wille zur Entäußerung des eigenen Profils in Kraków ab, wo sich die Bewegung „Junges Polen“ zu entwickeln beginnt. Neben der, auch in der Architektur, vielseitigen Tätigkeit von Stanisław Wyspiański (u.a. das Treppenhaus und die Möbel der Krakauer Ärztegesellschaft, 1904) ist auch auf das von originaler Folklore inspirierte Schaffen von Stanisław Witkiewicz zu verweisen, das den sog. Zakopane-Stil prägte, u.a. die Villa unter den Tannen in Zakopane (19.Jh.) oder die Kapelle in Jaszczurówka (20.Jh.).

Das Kapitel eines neuen Zeitalters in der Architektur Polens beginnt 1918 mit der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit. Allerdings hatte es schon früher in polnischen Architektenkreisen Anzeichen für Sorge um die Architektur des Landes gegeben, wovon z.B. 1908 in Krakau die Gründung der sog. Vertretung der Polnischen Architekten zeugte. Sie stellte sich neben Fragen des Berufsstandes die Aufgabe, Sorge zu tragen für das architektonische Erbe Polens aus der Zeit vor der Teilung Polens. Eine praktische Tätigkeit konnte sie jedoch erst mit der Herstellung eines eigenen Staatswesens entfalten. Die erste Tendenz, die den Willen zur historischen Kontinuität in der Architektur dokumentierte, war die Bezugnahme auf barocke und frühklassizistische Kompositionen, wie sie für die letzten Jahre des niedergehenden Staates im 18. Jahrhundert charakteristisch gewesen waren. Dies äußert sich z.B. im Gebäude des Stefan-Batory-Gymnasiums in Warschau (20.Jh.) oder auch in der meierhöfischen“ Beamtensiedlung im Warschauer Stadtteil Żoliborz, besonders aber in den neu errichteten und mehrfach umgebauten Bahnhöfen in Gdynia, Lublin, Konin, Pruszków. Auch die in Europa lebendige Strömung des Neoklassizismus übt ihrer Einfluss aus, z.B. auf das Schaffen von Adolf Szyszko-Bohusz die Gebäude der Polnischen Sparkasse in Kraków (20.Jh.), von Marian Lalewich die Gebäude der Direktion der Polnischen Staatsbahnen in Warschau (20.Jh.) aber auch auf die Arbeit von Tadeusz Tołwiński, des Vorkämpfers der modernen polnischen Urbanistik–Nationalmuseum in Warschau (20.Jh.). Sehr interessante Vorschläge zur Gestaltung der moderne polnischen Architektur unterbreitet J.Koszyc-Witkiewicz, unter anderem mit dem Gebäude der Handelshochschule in Warschau (20.Jh.), indem gewisse Elemente der Tradition mit zeitgemäßen funktional-konstruktiven Erfordernissen in Einklang bringt. Den Höhepunkt dieser Strömung stellt der Entwurf für den polnischen Pavillon auf der Ausstellung der Dekorativen Kunst in Paris dar (1925).

1923 entstand die Gesellschaft der Polnischen Urbanisten. Daneben war eine Reihe regionaler Organisationen für Architektur tätig, die sich 1934 in der Vereinigung der Architekten der Polnischen Republik zusammenschlossen.

 

 

Barbara H. Seemann – Trojnar
Fotos: BC, privatarchiv
© Versus POLEN

 

 

Bibliografie
Die Polnische Agentur Interpress : Ein Blatt über Polen
Janusz Kłębowski: Geschichte der polnischen Kunst
Doc.dr. Tadeusz Łepkowski: Kleines Wörterbuch der Geschichte Polens